Lesefutter

Wenn man Veganer/innen fragt, was sie bewegt hat, diese Ernährungs- und Lebensform zu wählen, stößt man nicht selten auf die immer gleichen Antwort:

Tierliebe. 

 

Das wird oft belächelt, lächerlich gemacht und nicht ernst genommen. Mein Einstieg in die vegane Lebensweise war eine ganz andere Überlegung. Aber ich empfinde tiefes Mitgefühl mit ethisch motivierten Veganern. Oftmals ist ihr Mitleid mit den Tieren so tief, dass sie tatsächlich leiden und verzweifeln angesichts des Wissens, was tagtäglich auf dieser Erde geschieht. Wie schwer muss es für diese Menschen sein, durch den Supermarkt zu gehen und dort Tierleid und Tierleichen an jeder Ecke zu sehen. Wie hart müssen sie unbedachte Worte und Taten von Mitmenschen treffen, mit denen sie täglichen Umgang haben? Ich empfinde tiefen Respekt gegenüber Menschen, die sich tagtäglich gegen das Leid der Tiere aussprechen, die aktiv etwas dagegen unternehmen, demonstrieren, Tiere aus dem Labor oder von den Höfen oder vor den Schlachthäusern retten. Die sich unermüdlich einsetzen, um die Welt für diese Tiere ein bisschen besser zu machen. Ich bin sicher, sie haben nachts Alpträume und vergießen ein Meer an Tränen. Ich bin froh, dass es Menschen wie sie gibt, denn nur durch sie wird die Masse immer wieder konfrontiert. Und nur durch die ständige Konfrontation bleibt es im Gespräch. Immer mehr und immer häufiger. 

 

Liebe Tierrechtsaktivisten/-innen, ich danke euch. Für euren unermüdlichen Einsatz. Für den Schmerz, den ihr bereit seit zu ertragen, weil andere die Augen verschließen. Für die kleinen Erfolge, die ihr hart erkämpft. Für jede Demo, jedes Plakat, jede Diskussion, die ihr immer wieder auf euch nehmt. Ohne euch wären wir heute nicht da, wo wir jetzt sind. An dem Punkt, an dem Veganismus langsam einen Weg in die Gesellschaft findet. Wir sind noch lange nicht dort angekommen, aber ihr habt den Weg gebahnt. 

 

Ich persönlich fand meinen Weg zum Veganismus über Gedankengänge über Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Ressourcenverbrauch. Nach langer Recherche, viel lesen, vielen Dokus usw. leuchtete mir ein, dass der Weg zu einem nachhaltigerem Leben direkt bei meinem Teller beginnt. Und wie weitreichend die Entscheidung ist, was auf meinem Teller landet. Da kann ich noch so sehr Strom und Wasser sparen, wenig Auto fahren, nichts prägt die Umwelt so sehr, fügt ihr so viel Schaden zu, wie unser Essverhalten. Das hat mich tief beeindruckt und schockiert. 

 

Viele Veganer - insbesondere ethisch motivierte - empfehlen den Film "Earthlings". Ich habe ihn gesehen. Ohne eine Träne zu vergießen, muss ich sagen. Was nicht heißen soll, dass mich das gezeigte Leid nicht berührt hat. Das hat es. Tief. Und zu meiner anfänglichen Überlegung, dass eine vegane Lebensweise gut für die Umwelt ist, kam nun auch der Gedanke, was wir unseren Mitgeschöpfen eigentlich antun.  In welchem Ausmaß wir sie schänden, quälen und wie groß das Ausmaß ihres Leidens für uns ist. Ich kann diesen Film niemandem empfehlen, der "empfindlich" ist. Und ich rate an dieser Stelle definitiv und eindringlich davon ab, "Earthlings" Kindern zu zeigen. Dies wird nicht selten empfohlen, wenn gefragt wird, wie man Kindern eine vegane Lebensweise nahe bringen soll. Entschuldigung, aber ich zeige meinem Kind auch keine Videos von Vergewaltigungen und Folter, um zu verdeutlichen, dass man nicht mit Fremden mitgeht. Ich will mein Kind nicht traumatisieren, ich will vorleben, erklären und erziehen. 

Ein weiteres "Nonplusultra" scheint das Buch "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer zu sein. Endlich habe ich das Exemplar auch bei uns in der Bücherei ergattert (so häufig, wie es ausgeliehen war, müsste man meinen, unsere Kleinstadt wäre deutlich veganer!). 

 

Seit 3 Tagen lese ich nun in diesem Buch. Und ich dachte eigentlich, dass ich durchaus gut informiert bin. Das ich die meisten Fakten kenne. Ja, kenne ich auch. Aber ziemlich grob, stelle ich gerade beim Lesen fest. Ich kannte sie gut genug, um die Entscheidung zum veganen Leben zu fällen. Jetzt lerne ich wieder neue Dinge, die mich nur  noch mehr bestätigen. Nichts in diesem Buch wundert mich wirklich, aber es erstaunt mich, dass es mich nach wie vor erschreckt. 

 

Foer schafft es, harte Zahlen und Fakten in eine sehr persönliche Geschichte zu verpacken. Es geht ihm nicht darum, ein Buch zu schreiben, dass Menschen zu Veganern macht. Er geht schlicht der Frage nach, was es eigentlich bedeutet, Tiere zu essen. Für ihn persönlich, für sein Kind, für die Umwelt, für die Gesundheit und letztlich natürlich für die Tiere. Er tut das nie mit dem erhobenem Zeigefinger (der wird uns Veganern ja immer gerne unterstellt und vorgeworfen). Er erzählt einfach, was er erfahren hat. Er lässt dabei sowohl Tierschützer, als auch Tierproduzenten zu Wort kommen. Er zeigt auf, dass es Ausnahmen gibt, dass es auch gute Bauern gibt. Er lässt nicht zu, dass es nur eine schwarz/weiß-Zeichnung ist. Er weist auf die Grautöne hin. Die aber leider immer verblassen. Er beschreibt seinen eigenen Weg (er war nicht einmal Vegetarier, als er anfing, dieses Buch zu schreiben).

 

Er hinterfragt. Beide Seiten. Was ich sehr gut finde. Denn Vegan bedeutet nicht immer und automatisch, dass es "besser" ist. Das sollten wir nie vergessen. Wir haben kein Recht, auf andere Menschen herab zu sehen. Wir haben kein Recht, uns für bessere Menschen zu halten. Wir sind besser informiert. Wir haben ein anderes Verständnis für die Dinge. Wir sehen die Welt aus anderen Augen. Aber wir sind keine besseren Menschen, nur weil wir anders essen und leben.  Leider begegnet mir das immer wieder. Ich finde nicht, dass man aus lauter Tierliebe die Menschenliebe aus den Augen verlieren sollte. Was ist ein Tierrechtler, der die Humanität aus den Augen verliert? In  meinen Augen leider kein guter Mensch. Ich wünsche mir - irgendwann, auch wenn ich es wohl nicht mehr erleben werde - eine besser Welt für ALLE. Für Mensch und Tier. Es wird eher keine vegane Welt sein. Da sollte man auf dem Teppich bleiben. Nicht jeder Mensch hat den Luxus mehrer Supermarktketten vor der Haustür. Und das wird nie so sein. 

 

Was ich mir wünsche, ist, dass ich meinem Kind und meinen Kindeskindern keine Wüste hinterlasse. Ich mag jetzt und heute leben, aber ich trage die Verantwortung für mein Erbe. Ich möchte kein Teil von einer globalen Zerstörung sein. Lieber bin ich ein winziger Teil des Versuchs, diese Welt nochmal ins Gleichgewicht zu bringen. Es mag durchaus vergeblich sein. Das Risiko gehe ich ein. Wenn ich gehe, möchte ich angstfrei gehen. Ich möchte diese Welt nicht verlassen mit dem Gefühl, dass mein Sohn und meine Enkelkinder (die ich hoffentlich bekomme) ums Überleben kämpfen müssen, weil wir die Gefahr und unsere Verantwortung nicht wahrgenommen haben. 


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