Wir sind zu bequem geworden

Wenn man einmal angefangen hat, sich Gedanken darüber zu machen, wie man etwas besser machen könnte, stellt man ganz schnell fest, dass man eine ganz schön verdammt große Menge besser machen könnte. Besser machen sollte. Aber wo fängt man an? Veganismus war mein Anfang. Gar nicht so wenig, dachte ich. 

 

In letzter Zeit reicht mir das aber nicht mehr wirklich. Ich bin ein durchaus selbstkritischer Mensch. Und auch kritisch mit anderen. Das weiß ich sehr genau. Meine Ansprüche an mich und meine Mitmenschen sind hoch. Ich bin ein Mensch, der von anderen erwartet, nicht mit dem Finger auf etwas zu zeigen, das falsch läuft, sondern dieses Problem zunächst einmal für sich selber anzugehen und zu gucken, wie kann ich als einzelne Person etwas dagegen tun. Erstmal in meinen vier Wänden, in meinem Leben. Ansonsten habe ich kein Recht zu fordern, dass Andere es besser machen sollen, wenn ich selber dazu nicht in der Lage bin. 

 

Natürlich, an manchen Dingen kann ich als Einzelne nichts ändern. Aber als Konsumentin kann ich eine erstaunliche Menge im täglichen Leben beeinflussen. Und je mehr Konsumenten diese Chance wahrnehmen, umso eher verändert sich etwas zum Positiven. Wir vergessen gerne, dass unser tägliches Einkaufsverhalten eine Wahl ist. Eine entscheidende. Wir bestimmen, was es auf dem Markt gibt. Nur, weil immer mehr Menschen immer mehr Tierschutz fordern, setzen sich langsam Rädchen  in Bewegung. Nur, weil immer mehr Menschen Plastik meiden, verschwinden Plastiktüten jetzt langsam aus den Supermärkten. Unser Konsumverhalten übt automatisch Einfluss auch auf die Politik aus. Unser Kreuz in der Wahlkabine ist - in meinen Augen - inzwischen nichts mehr wert. Egal, wen wir wählen, unsere Interessen werden nicht vertreten. Die wahre Politik wird von Lobbys gemacht. Von Industrien. Und die interessiert im Grunde nur eins: Wofür wir unser Geld ausgeben. Und das bestimmen immer noch wir. 

 

Ich will hier gar nicht so sehr in die Tiefe gehen, was meine politischen Ansichten betrifft. Worauf ich hinaus will, ist eigentlich, dass ich in letzter Zeit wieder festgestellt habe, wie schnell man selber bequem wird. Und in Verhaltensmuster rutscht, die man eigentlich ablehnt. Wir haben Disziplin und Konsequenz verlernt, finde ich. Wir sind sehr nachsichtig  mit uns geworden. 

 

Nehmen wir mich als Beispiel: Ich vergesse manchmal, mir etwas "Milch" mit auf die Arbeit zu nehmen. Das ist ärgerlich, denn unser Praxis-Kaffee ist schwarz ungenießbar. Nun ist das Problem, dass ich ohne Kaffee auch ganz schön ungenießbar werden kann an manchen Tagen. Praktischerweise liegt auf meinem Weg zur Arbeit ein Starbucks. Ja, richtig, danke für den Einwand - Starbucks sucks. Aber Starbucks hat nun mal ziemlich leckeren Kaffee und Sojamilch. Leider hat Starbucks auch Coffee-to-go-Becher aus Pappe und Plastik. Und hier erscheinen Engelchen und Teufelchen regelmäßig auf meiner Schulter. Engelchen schimpft, weil Wegwerfbecher scheiße sind, Teufelchen ist der Meinung, ich sollte nicht unterkoffeiniert zur Arbeit. Teufelchen siegt meist. 

 

Nun könnte ich mir endlich angewöhnen, daran zu denken, meine "Milch" einzupacken. Aber ich kenne mich, ich werde trotzdem rückfällig, weil der Kaffee von Starbucks halt - für meinen Geschmack - echt gut ist. Hier seht ihr meinen Kompromiss. Die bezaubernde To-Go-Cup von Villeroy&Boch. Die finde ich so bezaubernd schön, dass ich sie einfach kaufen musste. Das ist nicht die optimale Lösung, aber mein Kompromiss. Müll vermeiden - check. Starbucks meiden - steht nach wie vor auf der to-do-Liste. 

Nächster Punkt auf der to-to-Liste ist nach wie vor, das Badezimmer plastikfreier zu bekommen. Ich brauche gerade sämtliche Duschmittelchen und Shampoos sowie Cremes etc. auf. Manches wird radikal dezimiert werden (wer braucht denn wirklich 3 bis 5 versch. Mascarasorten oder 4 versch. Make-up Tuben?), manches fliegt komplett raus (gekaufte Putzmittel z.B.). Für alles, das für mich unerlässlich ist, versuche ich momentan Ersatz zu finden. Feste Shampoos und Duschseifen habe ich bei Sauberkunst gefunden. Dort gibt es auch tolle Tiegel mit Sheabutter, die demnächst meine Bodylotion ersetzen werden. Auch Cremedeos habe ich bereits und bin total begeistert von ihrer Wirkung. 

 

Gerade neu Einzug erhalten und noch im "Testlauf" ist dieser Zahnputzstein. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, was ich von ihm halten soll. Das Handling finde ich einigermaßen schwierig. Mit der nassen Zahnbürste soll man einfach am Stein langschrubben. Aber der Effekt ist gering, es findet nicht viel Abrieb statt. Man braucht schon ein bisschen Geduld und muss eher kratzen, als einfach über den Stein wischen. Als mein  Sohn das versucht hat, war das ganze Badezimmer danach gesprenkelt. Ehrlich gesagt, bei meinem ersten Versuch sah der Spiegle auch ziemlich getupft aus. Das Putzergebnis ist allerdings wirklich gut. Der Minzgeschmack ist sehr dezent und nicht scharf, die Zähne danach angenehm glatt und das Mundgefühl sehr sauber. Für mich aber leider noch nicht die ultimative Lösung. Da werde ich noch weiter schauen. Ich habe eh vor, demnächst ein paar Dinge selber herzustellen. Vielleicht setze ich Zahnpasta einfach mit auf die Liste. 

 

Gerade heute habe ich das Bad zum 1. Mal komplett ohne fertige Putzmittel geputzt. Nur mit Essigwasser. Klappt hervorragend. Essig ist ein toller Kalklöser und ein gutes Desinfektionsmittel. Hier habe ich dann mal wieder festgestellt, wie bequem wir eigentlich geworden sind. Der Supermarkt bietet uns eine Riesenauswahl an Putzmittelchen, mit deren Hilfe die Hausarbeit fast wie von selbst gehen soll. Das ist praktisch und bequem, aber wir ignorieren dabei gerne, was für Konsequenzen unsere Faulheit mit sich bringt. Aufsprühen, abspülen und das Bad ist fertig. Wie nett. Aber was genau fließt da eigentlich den Abfluss runter. Wie hochchemisch ist so ein Zeug, wenn es nahezu ohne manuelle Putzkraft Seifenreste, Kalk etc. entfernt. Die feinen Partikel, die wir einatmen, während wir das Zeug aufsprühen, was macht das eigentlich in unserer Lunge, wenn es schon auf Kacheln schon so ätzend ist? Oder trägt einer von euch beim Putzen einen Mund- und Nasenschutz? Ganz ehrlich, sollten wir eigentlich, wird euch jeder Lungenfacharzt bestätigen. 

 

Das Bad zu putzen hat heute in der Tat doppelt so lange gedauert wie sonst. Anstatt etwas auf die Flächen zu sprühen (ich habe bisher übrigens immer die Frosch-Putzmittel verwendet, mein bisheriger Kompromiss zu herkömmlichen Reinigern), habe ich alle Flächen zunächst mit Essigwasser abgewischt und dann trockengewischt. Den Duschkopf habe ich mit Apfelessig gleich entkalkt. Ja, es war anstrengender als sonst. Aber ich musste zum ersten Mal nicht niesen, weil ich keinen Glasreiniger auf den Spiegel gesprüht habe. Ich musste zum ersten Mal nicht niesen, weil ich keinen Badreiniger in die Wanne gesprüht habe. Das Ergebnis ist genau so sauber (und "rein") wie sonst auch und alles, was ich benutzt habe, war Essig und Wasser. Anstatt wie sonst 3 verschiedene Putzmittel. Was für eine Ersparnis an Geld und Müll. 

 

Die restlichen Putzmittel werden jetzt noch aufgebraucht und dann ist Schluss damit. Wenn ich nichts im Haus habe, kann ich auch nicht wieder faul werden. Ja, "öko" sein ist ein bisschen anstrengender - haben Axel und ich gerade erst feststellen dürfen, als wir unser komplettes Leergut zu Fuß weggebracht haben. Aber Bequemlichkeit hat uns zu den Problemen geführt, mit denen wir heute immer massiver konfrontiert werden. Wir ersticken in Müll. Wir betreiben massiven Raubbau an unserem Planeten, für Dinge, die wir im Grunde nicht brauchen. 

 

Bevor das hier falsch verstanden wird, ich bin ein Vaultier ;) Ich mag es bequem. Ich werde nie jemand sein, der alles selber produziert oder gar völlig autark lebt. Ich werde immer mal wieder Starbucks Kaffee (oder sonstigen Coffee to go) trinken, fürchte ich. Aber ich suche Wege für mich, die ich mit meinem Gewissen besser vereinbaren kann. Wenn sich etwas leicht selber herstellen lässt, ohne große Kosten, ohne große Anstrengung, vllt. mit minimal mehr Zeitaufwand, dann möchte ich das ausprobieren. Ich bin ein Durchschnittsmensch. Ich bin berufstätige Mutter in einem stressigen Job, mit einem Mann, der Hausarbeit ziemlich doof findet und einem Kind, das mich fordert. Ich bin oft gestresst, manchmal genervt, hin und wieder überfordert. Ich bin froh, wenn ich auch mal faul sein kann, wenn es mir einfach gemacht wird und ich es bequem habe. Nicht anders, als andere auch. Und ich will das auch genau so haben. Ich will nicht in einer Waldhütte, abgeschieden von der Menschheit leben und mein eigenes Gemüse anbauen oder weiß der Kuckuck was. 

 

Aber die Frage, die sich mir halt immer mehr stellt, ist: Welchen Preis bezahle ich eigentlich für meine Faulheit? Bzw. - und diese Frage finde ich viel gravierender, denn welchen Preis ich bezahlen möchte, entscheide ja ich - welchen Preis bezahlen ANDERE für meine Bequemlichkeit? Welche Konsequenzen haben mein Verhalten für andere? Was für Probleme wird mein Sohn später zu bewältigen haben, weil meine Generation die Konsequenzen ihres Handelns aus purer Bequemlichkeit nicht bedacht hat? 

 

Und an diesem Punkt stelle ich immer wieder fest, dass ich lieber ein bisschen weniger bequem bin, als mir später die Frage zu stellen "Was wäre gewesen, wenn...."